erschienen in "Corax - Fachmagazin für Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen - Ausgabe 1 / 2012"
Gerade wenn es um Jugendschutz geht, gerät das Thema Drogenkonsum in den Fokus der Öffentlichkeit. In Sachsen sorgte diesbezüglich die Drogenpolitik der Stadt Leipzig immer wieder für Diskussionen. Während Polizei und CDU diese kritisierten, begrüßten SPD, LINKE und die Grünen im Leipziger Stadtrat das Modell der akzeptierenden und aufklärenden Präventionsarbeit. In einer Erklärung formulierten Katharina Krefft, (Bündnis 90/ DIE GRÜNEN), Juliane Nagel (DIE LINKE) und Mathias Weber (SPD): “Wir halten an unserer Position fest: die drogenpolitische Strategie der Stadt Leipzig ist richtig. Sie ist politisch diskutiert, kontrolliert und flankiert. Seit Jahren gibt es auf der Handlungsebene eine gute Kommunikation und Kooperation zwischen Kommune, Vereinen und Polizei." [1] Zum Projekt Drug Scouts sagen sie: “Mit seinem lebensweltlichen und akzeptierenden Ansatz sind die Aufklärungsangebote der Drug Scouts bundesweit fast einmalig. Wir stehen zu diesem progressiven und wirksamen Projekt. Das vielfach gelobte Präventionsangebot der Drug Scouts wird unter anderem vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz empfohlen.“ [2]
Im CORAX äußern sich nun die Kollegen und Kolleginnen der Drugscouts zum Thema Drogenkonsum im Jugendalter und ihrer Arbeit.
Das Projekt Drug Scouts feierte letztes Jahr sein 15jähriges Bestehen. Ein Anlass, zurück und voraus zu schauen.
Die Drug Scouts wurden 1996 von jungen Menschen aus der elektronischen Musik- und Partyszene gegründet und existierten 2 Jahre auf rein ehrenamtlicher Basis. Die Arbeit konzentrierte sich vor allem darauf, auf Parties Drogenaufklärung zu betreiben und Partygäste für einen weniger riskanten Umgang mit Drogen zu sensibilisieren. Seit 1998 ist das Projekt bei dem Träger SZL Suchtzentrum gGmbH angesiedelt. Mit der Aufnahme in den Dachverband und die finanzielle Unterstützung durch das Leipziger Jugendamt haben sich die Aufgaben und das Angebotsspektrum vervielfältigt und die Arbeitsweise professionalisiert. Derzeit arbeiten drei Hauptamtliche (auf 2 Vollzeitstellen) und über 35 Ehrenamtliche im Projekt.
Die Angebote richten sich hauptsächlich an junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren in Leipzig, die legale und/oder illegalisierte Drogen gebrauchen. Fast jede_r Jugendliche in dieser Altersspanne hat mit Alkohol zumindest experimentiert. Laut Deutscher Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht [DBDD] haben etwa die Hälfte aller jungen Männer und mehr als ein Drittel der jungen Frauen in diesem Alter Erfahrung mit illegalisierten Substanzen. [3] Vor allem junge Menschen probieren psychoaktive Substanzen aus und/oder konsumieren diese über einen gewissen Zeitraum, meist ohne dabei eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die Bandbreite an Konsumformen, -dauer und -häufigkeiten ist dabei sehr groß. Drogenkonsum im Jugendalter erfüllt für Konsument_innen sehr unterschiedliche Funktionen, die laut Settertobulte [4] mit den Entwicklungsaufgaben (EA) von Heranwachsenden in Beziehung stehen. So kann Drogenkonsum als Symbol für das „Erwachsen Sein“ dienen, ein Weg sein, Lebensstile auszuprobieren (EA: Lebensgestaltung), mit Grenzerfahrungen zu experimentieren (EA: Identität finden), Hemmungen abzubauen (EA: Kontaktaufnahme mit Anderen) und absichtlich Normverletzungen zu begehen (EA: eigene Werte entwickeln).
Umfragen [5] zu Motiven des Drogenkonsums unter Jugendlichen bestätigen dieses Bild: Die meistgenannten Gründe für den Konsum sind Neugier, “einen Kick“ bzw. „Neues und Aufregendes“ erleben, „etwa Verbotenes tun“ und um „anzugeben“. Ist der oder die Jugendliche dabei in ein funktionierendes soziales Umfeld eingebunden und hat keine schwerwiegenden psychischen oder sozialen Defizite, ist die Wahrscheinlichkeit, problematische Konsummuster zu entwickeln, gering. Beim Auftreten von Entwicklungsproblemen kann Drogenkonsum auch als Kompensation, Ersatzziel und zur Stress- und Gefühlsbewältigung dienen. Faktoren, die das Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung im Jugendalter fördern, können laut Settertobulte [ebd.] bspw. ein früher Einstieg, problematische Familienverhältnisse, psychische Störungen, soziale Mängellage, Scheitern im Bildungsprozess oder eine Peergruppe mit überwiegend deviantem Verhaltenspotenzial sein.
Baumgärtner vom Büro für Suchtprävention Hamburg fasst die Sachlage wie folgt zusammen: „Während ein Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemäßigt und durchaus risiko- und verantwortungsbewusst mit Rauschmitteln umgeht oder auf deren Konsum gänzlich verzichtet, dient einem anderen Teil der Jugendlichen der exzessive Drogengebrauch als Instrument zum Ausgleich mangelnder Alternativen und fehlender Perspektiven...“. [6]
Neben den allgemeinen Konsumtrends ist bekannt, dass die Drogenaffinität in bestimmten Subkulturen höher ist als in anderen, so werden in der Szene elektronischer Tanzmusik häufiger Drogen konsumiert als in der Durchschnittsbevölkerung.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus diesen Tatsachen für die Mitarbeiter_innen eines Projekts, dessen Hauptzielgruppe konsumerfahrene Jugendliche sind?
Laut Reitoxbericht der DBDD 2011 sind „die Lebenswelten der Jugendlichen zu berücksichtigen und die Aktivitäten nicht nur auf Konsumverzicht oder Konsumreduktion auszurichten [...], sondern darüber hinaus Fähigkeiten wie Risikokompetenz und Risikomanagement“ zu vermitteln. [7]
Allgemeines Wirkungsziel der Maßnahmen des Projekts ist es, Jugendliche dabei zu unterstützen, einen kompetenten und kritischen Umgang mit legalen und illegalisierten Substanzen zu erlernen, um somatische, psychische und soziale Schädigungen zu verhindern bzw. zu minimieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei im Rahmen selektiver Prävention auf der Gruppe der Partygänger_innen. Ein weiteres Wirkungsziel der Arbeit ist daher die Vermittlung und Etablierung risikominimierender Maßnahmen in der Partyszene.
Konkret geht es darum, für kurzfristige, punktuelle Risiken des Konsums (Überdosierung, Ansteckung mit Infektionskrankheiten durch gemeinsam benutzte Konsumutensilien, Hörschäden auf Parties etc.) zu sensibilisieren. Durch Aufklärung über langfristige Konsumrisiken (körperliche und psychische Folgen, Toleranzentwicklung, Abhängigkeit) und die Vermittlung von Risikokompetenz (ritualisierte Formen des nicht schädlichen Umgangs, konsequente Punktnüchternheit) soll dazu beigetragen werden, dass Jugendliche ihren Konsum kritisch reflektieren, Warnsignale eines problematischen Konsums erkennen und Hilfebedarf äußern.
Wie versuchen wir dieses Ziel umzusetzen?
Betrachten wir noch einmal kurz die Ziel- bzw. Nutzer_innengruppe des Projekts. Die Mehrheit der jungen Menschen, die die Angebote in Anspruch nimmt, ist risikoerfahren, risikobereit und z.T. nicht abstinenzwillig oder -fähig. Epidemiologische Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [8] zeigen, dass viele Konsument_innen sogenannter Partydrogen, sich nicht als hilfebedürfig ansehen und unabhängig vom Konsummuster nicht gewillt sind, ihren Konsum auf der Stelle zu beenden. Deshalb sind diese Jugendlichen durch „klassische“ Suchthilfeangebote sehr schwer zu erreichen. Hier setzt das Angebot der Drug Scouts an. Durch die Verbindung von niedrigschwelligem Zugang zu zielgruppenspezifischer Information, aufsuchender Arbeit (Vor-Ort-Arbeit in Clubs und auf Parties) und einem umfassenden Beratungsangebot über verschiedene Medien können Zugangswege geschaffen und jugendliche Drogenkonsument_innen erreicht werden. [9]
Der Drogeninfoladen Drug Store ist eine wichtige Schnittstelle zwischen Angeboten der Jugendhilfe und den Suchtberatungsstellen. Für viele User, die nicht wissen, welche Hilfsangebote sie nutzen wollen oder können, bietet das Projekt einen ersten Anlaufpunkt. Ergänzt wird das Angebotsspektrum durch eine Internetseite, auf der Jugendliche u.a. über ihre Erfahrungen mit Drogen berichten oder online beraten werden. Außerdem ist zweimal in der Woche das Drogentelefon geschaltet, an das sich neben Usern vor allem Angehörige und (Sozial)Pädagog_innen wenden.
Kennzeichnend für das Projekt Drug Scouts ist das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit, die es bei der Zielgruppe genießt. Grundlage dafür ist die Akzeptanz jugendlicher Lebenswelten und der spezifischen Lebenslage des einzelnen Individuums. Die Anliegen und Bedürfnisse der Zielgruppe werden ernst genommen, ohne sie moralisch zu bewerten. Den Betroffenen wird zugestanden, eigene Entscheidungen zu treffen und in Handeln umzusetzen sowie Hilfe und Angebote nach eigenem Ermessen zu nutzen. Ansatz und Vorgehensweise des Projekts sind nicht neu, konnten aber innerhalb von 15 Jahren immer mehr verbessert werden.
Die Nutzer_innenzahlen unseres Projekts, persönliches Feedback, 26.000 verteilte Drogeninformationsfaltblätter (2011) und die meistbesuchte deutschsprachige Drogeninformationsseite sprechen für sich. Nicht nur deshalb wird das Projekt bundes- und europaweit als Beispiel für Best Practice gehandelt und erhält viele Anfragen zu Vorträgen und Projektvorstellungen. Im letzten Jahr waren die Drug Scouts bspw. mit Vorträgen zu „Neuen Drogen“ bei einem Fachtag der Landesstelle für Suchtfragen Mecklenburg-Vorpommern in Rostock sowie bei Drobs Halle zu Gast und stellten ihr Projekt bei einem Netzwerktreffen frankophoner Harm-Reduction-Projekte in Belgien sowie bei der Jahrestagung der Bundesdrogenbeauftragten in Berlin vor.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Projekt Drug Scouts in Ergänzung zu anderen Hilfsangeboten der Stadt die Gruppe jugendlicher Drogenkonsument_innen erreicht, die sozial unauffällig konsumieren und v.a. an Informationen, Strategien und Handlungsweisen zur Gesundheitsförderung und Risikominimierung interessiert sind. Das Leipziger Hilfesystem bietet differenzierte, zielgruppenspezifische Angebote der Drogen- und Jugendhilfe an, die beispielhaft sind. Und wir hoffen, dass das so bleibt.
Antje Kettner, MA Erziehungswiss/SozPäd/Soziologie
Katrin Schröder, MA Soziologie/Anglistik
Daniel Graubaum, Dipl. Sozialpädagoge
Drug Scouts: http://drugscouts.de
Corax-Magazin: http://www.corax-magazin.de/
[1] http://jule.linxxnet.de/index.php/2011/05/pm-zur-debatte-um-die-leipzige...
[2] Ebd.
[3] DBDD: Bericht 2010 des nationalen REITOX-Knotenpunktes an die EBDD, S.49
[4] vgl. Dr. W. Settertobulte: Rausch als Risiko und Herausforderung für Jugendliche, 2011, S.6ff
[5] FOKUS-Institut Halle: Moderne Drogen- und Suchtprävention (MODRUS IV), 2009, S.58ff
[6] Theo Baumgärtner, Angela Gieß: Zur Topographie des Drogenkonsums in Hamburg, 2004, S.25
[7] DBDD, Bericht 2011 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EBDD, S.80
[8] BzgA (Hrsg.), Peter Tossmann: Ecstatsy - Einbahnstraße in die Abhängigkeit?, 2001, S.25
[9] O. Herold.: Ausgewählte Aspekte des Drogengebrauchs junger Erwachsener in der Techno-Partyszene, in: BOA e.V (Hrsg): Pro Jugend – Mit Drogen?, 1998, S.42-55