[kreuzer] Zwischen Fachlichkeit und Symbolpolitik

von Thyra Veyder-Malberg, erschienen im Leipziger Stadtmagazin kreuzer - Ausgabe 04/2012, Seite 19

Seit einem Jahr wird über die Drogenfreundlichkeit der Stadt Leipzig diskutiert. Ein Ende ist nicht in Sicht

Holger Herzog steckt die drogenpolitische Debatte des vergangenen Winters noch in den Knochen. Als Geschäftsführer des Suchtzentrum Leipzig ist er unter anderem für das Projekt Drug Scouts mitverantwortlich, das damals vor allem für seinen akzeptierenden Ansatz in die Kritik geriet.

Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski hatte der Stadtverwaltung vorgeworfen, mit ihrer "Wohlfühlpolitik" Leipzig für Süchtige erst attraktiv zu machen, und damit großes mediales Echo geerntet. Dies würde die Beschaffungskriminalität in die Höhe treiben, argumentierte Wawrzynski.

Die Einseitigkeit der medialen Debatte ärgert Herzog heute noch. "Drogenkonsum i´st eine Realität, der man sich stellen muss", sagt er. "Wenn man nur einen abstinenzorientierten Ansatz verfolgt, erreicht man viele der Betroffenen nicht." Nur ein System aus verschiedenen Hilfsangeboten würde zum Erfolg führen. Und als Teil dieses Systems müsse man die Drug Scouts verstehen.

Sie richten sich mit ihrer Arbeit an temporäre Drogenkonsumenten, die sozial integriert und (noch) nicht abhängig sind. Ziel ist es, die meist jungen Menschen zu risiko- und gesundheitsbewusstem Verhalten zu erziehen und so Gesundheitsschäden, Abhängigkeit und soziale Isolation zu verhindern.

Dazu gehören Aufklärung über die Risiken des Konsums und Warnung vor verunreinigten Substanzen auf dem Markt. Gleichzeitig bieten sie die Möglichkeit zum Erfahrungsaustauch auf ihrer Website. Vorraussetzung ist, den Klienten auf Augenhöhe und ohne erhobenen Zeigefinger zu begegnen.

Unter Fachleuten ist dieser Ansatz unbestritten. Das Centre for Drug Research an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main lobt die Drug Scouts als "eine unverzichtbare Instanz in der deutschen Präventionslandschaft, und zwar vor allem dank des akzeptierenden Ansatzes". Die Stadtverwaltung hat die Drug Scouts daher selbst nach der Kritik Wawrzynskis nie in Frage gestellt und sieht auch sonst keinen Anlass für große Veränderungen.

Was ist also übrig geblieben von der ganzen Aufregung? Nicht viel. Eine eigens ins Leben gerufene Kommission aus Stadtverwaltung und Polizei hat getagt. Der gemeinsame Bericht ist zwar noch nicht erschienen, aber nach allem, was aus dem Rathaus zu hören ist, enthält auch er keine neuen Erkenntnisse. Dafür hat die Polizei - nach einer hitzigen Debatte in der Ratsversammlung im Februar - ein Stimmrecht im Drogenbeirat bekommen, in dem sie schon seit Jahren sitzt. Der hat allerdings nur beratende Funktion, seine Beschlüsse sind für den Stadtrat nicht bindend. Ein klarer Fall von Symbolpolitik.

Doch das heißt nicht, dass das Thema damit vom Tisch ist. Demnächst sollen die drogenpolitischen Leitlinien der Stadt überprüft werden. Turnusmäßig, wie betont wird - aber dafür mitten im Wahlkampf. 2013 wird in Leipzig ein neuer OBM gewählt, und die Diskussion um die öffentliche Sicherheit, zu der auch die Drogenpolitik gehört, ist ein echter Wahlkampfklassiker und wird oft sehr emotional geführt. Genau davor scheint sich Herzog zu fürchten: "Nur weil man die fachlichen Argumente auf seiner Seite hat, heißt das noch lange nicht, dass man entspannt sein kann."

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Erscheinungsdatum: 

02.04.2012